Thomas Girst zum Ausstellungsprojekt ReNatur 2021
André Mailänder

Liegen den Arbeiten der bei ReNatur vertretenen saarländischen Künstler als Bestandteil des kreativen Schaffensprozesses Fotografien zugrunde, die etwa von Jörg Munz übermalt und von Werner Constroffer als unmittelbare Grundlage für Bildkompositionen genutzt werden, so widmet sich André Mailänder seit Jahrzehnten ausschließlich dem Medium der Fotografie. Sein Großvater war selber noch Kumpel der Grube Göttelborn, die dort bis zum Jahr 2000 über ein halbes Jahrtausend hinweg den Steinkohlebergbau ermöglichte. „Landschaftsfotografie ist mein künstlerisches Thema“, so Mailänder. „Naturfotografie ist ein Sektor darin. Der Schwerpunkt liegt auf den großen Aufnahmen im Umfeld des Steinkohlebergwerks Landsweiler-Reden. Für mich war hier die Spannung zwischen Bildautonomie und fotografisch interessantem Bild wichtig. Das Bild funktioniert als Bild und erfüllt gleichzeitig einen dokumentarischen Anspruch. Dazu gehört es, das Bild so scharf und detailreich wie es irgend geht zu fotografieren und zu fokussieren.“ Sich selbst sieht Mailänder dabei in der Tradition der „New Topographics“ der USA, deren Vertreter seit den 1970er Jahren eben keine oftmals subtil pathetisch aufgeladene, vom Menschen möglichst unberührte Natur zeigen, sondern im Gegenteil ihr Augenmerk vielmehr auf die durch Zivilisation und Ausbeutung veränderte, umgestaltete und zerstörte Landschaft richteten.

Dem Betrachter erschließt sich bei den als Tableau präsentierten, großformatigen Arbeiten des Werkkomplexes „Neue Landschaft“ nicht unmittelbar, ob es sich dabei etwa um monumentale Vergrößerungen des Erdreichs handelt oder aber um Weitwinkelaufnahmen. Erst die genaue Ansicht aus der Nähe lässt erkennen, dass es sich bei den Exponaten tatsächlich um Darstellungen handelt, die nicht etwa aufgeworfene Erdklumpen, vertrocknetes Gras oder Wurzelwerk zeigen, sondern ganz im Gegenteil den Blick auf massive Hügel, Straßen, Täler und darin zerstörtes und entwurzeltes Baumwerk richtet, dem die Ordnungsbemühungen weißroten Absperrbandes kaum etwas entgegenzusetzen haben. Erst die Größe der ausgewählten Motive, die Herstellung der Exponate im Diasec-Verfahren und die Präsentation der Ausschnitte der Haldenlandschaft von Landsweiler-Reden als Plexiglasplatten erlaubt diese Art der Detailsicht. An der Schnittstelle von Industrie und Natur kartografieren Mailänders Bilder die Verheerungen des menschlichen Eingriffs. Die Nutzbarmachung traditioneller Verfahren und die Verwendung klassischer Modelle wie Platten- und Balgenkamera bei gleichzeitiger digitaler Adaption derselben ermöglichen dem Fotografen dabei eine gänzlich nüchterne Darstellungsweise, die ohne Anklage auskommt. Vielmehr positionieren sich die Arbeiten sachlich und dokumentarisch. Es ist in diesem Zusammenhang die möglichst reine Fotografie, die für Mailänder so erstrebenswert wie entscheidend für seine künstlerische Positionierung ist.

Mailänders Arbeiten sind dabei immer auch Spurensuche. Dies wird umso deutlicher in der kumulativen Betrachtung seiner Werke, die nicht selten seriell und als Schichtungen gedacht sind. Auch für ReNatur hat der Fotograf ein Tryptichon aus „Woven Places / Green Facility“ ausgwählt, wobei „Woven Places“ bereits titelgebend für die Werkkomplexe „Urban Fabric“ und „Succession“ Verwendung fand. Die drei zusammenhängenden, neben den Arbeiten für „Neue Landschaft“ präsentierten Bilder finden sich wiederum in einem größeren Kontext als Abbildungen des Künstlerbuchs gleichen Namens, welches dutzende Waldaufnahmen in Hoch- und Querformat in sich vereint. „Woven Places / Green Facility“ schuf Mailänder im ersten Corona Lockdown im Frühjahr 2020. Obschon während einer weltweiten Pandemie entstanden kann man nicht anders, als das aufkeimende, an farblichen Nuancierungen so unendlich facettenreiche Grün der Natur vis-à-vis der dunkelbraunen Brachlandschaften auch als Hoffnung dahingehend zu betrachten, dass sich die Natur die verheerenden, ihr durch den Menschen zugefügten Wunden des Anthropozän wieder zu schliessen vermag. Wieviel Zeit dies auch immer benötigt, ob noch mit oder ohne den Menschen auf Erden, den es schließlich erst seit 300.000 gibt und der seine meiste Zeit darauf im Gegensatz zur übrigen Flora und Fauna womöglich schon lange hinter sich hat.

© 2021 Thomas Girst


Thomas Girst on the exhibition project ReNatur 2021
André Mailänder

While the works of the Saarland artists represented at ReNatur are based on photographs as part of the creative process, which are painted over by Jörg Munz, for example, and used by Werner Constroffer as a direct basis for pictorial compositions, André Mailänder has devoted himself exclusively to the medium of photography for decades. His grandfather was himself still a miner at the Göttelborn mine, which enabled coal mining there for over half a millennium until the year 2000. "Landscape photography is my artistic theme," Mailänder says. "Nature photography is one sector in it. The focus is on the large photographs taken in the vicinity of the Landsweiler-Reden coal mine. For me, the tension between pictorial autonomy and photographically interesting image was important here. The image functions as a picture and at the same time fulfills a documentary requirement. This involves photographing and focusing the image as sharply and in as much detail as is at all possible." Mailänder sees himself in the tradition of the "New Topographics" of the USA, whose representatives since the 1970s have not shown an often subtly pathetically charged nature that is as untouched by man as possible, but on the contrary have focused their attention on the landscape that has been changed, reshaped and destroyed by civilization and exploitation.

It is not immediately apparent to the viewer whether the large-format works presented as tableaux in the work complex "New Landscape" are monumental enlargements of the earth or wide-angle shots. Only a close-up view reveals that the exhibits are in fact depictions that do not show upturned clods of earth, dried grass, or roots, but quite the opposite: they direct the viewer's gaze to massive hills, roads, valleys, and trees destroyed and uprooted therein, to which the efforts at tidying up white-red barrier tape have little to offer in the way of resistance. Only the size of the selected motifs, the production of the exhibits using the Diasec process, and the presentation of the sections of the Landsweiler-Reden slagheap landscape as Plexiglas plates allow this kind of detailed view. At the interface of industry and nature, Mailänder's images map the devastation of human intervention. The harnessing of traditional processes and the use of classic models such as plate and bellows cameras, while at the same time adapting them digitally, enable the photographer to create an entirely sober mode of representation that does without accusation. Rather, the works position themselves in a factual and documentary manner. In this context, it is the purest possible photography that is as desirable to Mailänder as it is decisive for his artistic positioning.

Mailänder's works are thereby always also a search for traces. This becomes all the more clear in the cumulative view of his works, which are not infrequently serial and conceived as stratifications. For ReNatur, too, the photographer has chosen a tryptichon from "Woven Places / Green Facility", whereby "Woven Places" has already been used as the title for the work complexes "Urban Fabric" and "Succession". The three related images presented alongside the works for "Neue Landschaft" are in turn found in a larger context as illustrations of the artist's book of the same name, which combines dozens of forest photographs in portrait and landscape formats. "Woven Places / Green Facility" was created by Mailänder in the first Corona Lockdown in the spring of 2020. Although created during a worldwide pandemic, one cannot help but view the burgeoning green of nature, so infinitely multifaceted in color nuances, vis-à-vis the dark brown wastelands as hope that nature will be able to close the devastating wounds of the Anthropocene inflicted on it by man. No matter how much time this takes, with or without man on earth, who has only been around for 300,000 years and who, in contrast to the rest of the flora and fauna, has probably already spent most of his time on earth.

© 2021 Thomas Girst



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